Mitarbeiter/innen

Charité - Universitätsmedizin Berlin
Institut für Geschichte der Medizin 

Projekt D - Erste Förderphase

Teilprojekte

Psychopathologische Grenzzustände als kultureller Schwellenraum.

Psychiatrische Diagnosen der Berliner Universitätsnervenklinik, 1880-1930

 

Zusammenfassung

Die Herausbildung der modernen Psychopathologie wird als Übergangsraum begriffen, der sich mit der psychopathologischen Etikettierung der Nervosität (Beard 1880) und Conrads klassischen Studie über die beginnende Schizophrenie (Material der frühen 1940er Jahre) markieren lässt. Am empirischen Material der Krankenakten der Charité Nervenklinik soll unter dieser Perspektive die Entwicklung der psychiatrischen Diagnosen in einem dreifachen Zugriff untersucht werden:

- als epistemologischer Schwellenraum, in dem traditionelle Einteilungen psychischer Auffälligkeiten ihre bislang bekannte Bedeutung verloren, neu differenziert, kombiniert, bewertet und zusammengestellt wurden, bis sie schließlich zu einer neuen psychopathologischen Ordnung entlang der binären Opposition von „normal und anomal“ und „gesund und krank“ re-arrangiert wurden.

- als regulativer Schwellenraum, in dem mit der Aushandlung psychopathologischer Schwellen ein modernes Verständnis von und ein Umgang mit psychischen Auffälligkeiten entwickelt, institutionalisiert und über die Prozeduren der Exploration, Diagnosestellung, Aktenführung und Behandlung performativ vermittelt wurde. 

- als kulturelles Schwellenphänomen, nämlich als Feld historischer Auseinandersetzungen mit den Erscheinungen des urbanen Lebens. Der Einbezug der lebensweltlichen Referenzfelder, die in und mit den diagnostischen Differenzierungen übersetzt, bewertet und vermittelt werden, gibt den Blick auf einen kulturellen Möglichkeitsraum frei. In diesem gewissermaßen liminoiden Raum wurde die Erfahrung des heterarchischen und polyzentrischen Charakters der modernen Gesellschaft jenseits dualistischer Semantiken („gesund – krank“, „normal – anomal“, „moralisch gut – böse“ etc) ausgelotet und reflektiert.