Mitarbeiterinnen

 

Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin


Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck

Projekt G - Zweite Förderphase

Teilprojekte

Dokumente des Wahns.
Fabulieren und Querulieren in Literatur und Psychiatrie

 

Zusammenfassung

Das Projekt untersucht anhand von Ego-Dokumenten, literarischen und psychiatrischen Texten, die zwischen 1870 und 1930 verfasst wurden, wie Fabulieren und Querulieren als zwei Kategorien des Wahnsinns etabliert, ausdifferenziert, kritisiert und schließlich wieder verworfen wurden. In einem ersten Schritt soll gezeigt werden, dass Fabulieren und Querulieren eigenständigen Regeln, Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien folgen, deren Eigenlogik auf mediale Voraussetzungen, den Prozess des Schreibens selbst und kulturelle Faktoren zurückgeführt werden können. In einem zweiten Schritt soll rekonstruiert werden, welche Transformationen Literatur und Psychiatrie in ihrer Auseinandersetzung mit dem Fabulieren und Querulieren erfahren haben: Hierzu werden sowohl die Genese und Praxis einer fabulierenden Schreibweise in der Literatur als auch der Wandel im Diskurs und den Praktiken der Psychiatrie nachgezeichnet. In einem dritten Schritt soll die Relevanz des Themenbereichs für eine Theorie der Moderne aufgezeigt werden: Die Psychiatrie traf im Fabulieren und Querulieren auf das Hindernis, dass sie die Phänomene, die sie erforschte, selbst mit hervorbrachte und insofern Beobachtungen zweiter Ordnung sowie eine Konzeptualisierung von systemischen Prozessen erforderte. Während die Psychiatrie mit dem Fabulieren und Querulieren auf eine Problemstellung stieß, die sie nicht zu lösen vermochte, wurden vom Fabulieren neue Entwicklungen in der Literatur und den Wissenschaften angestoßen: Einerseits bildete die Literatur mit dem Fabulieren eine spezifisch moderne Erzählweise aus, welche eine schematische Unterscheidung von Fiktion und Wirklichkeit außer Kraft setzte; andererseits gewann die Psychologie in der Erforschung des Fabulierens ein neues Verständnis des Wirklichkeitsbezugs von Sprache.